Samstag, 27. August 2011

Resümee des weltwärts-Programms

Obwohl weltwärts ein Projekt des BMZ ist, ist nicht die Hauptsaufgabe der Freiwilligen in dem Jahr die Armutsbekämpfung. Ich sehe die Ziele von weltwärts in folgenden Punkten: persönliche Erfahrungen, intrakultureller Austausch und globales Lernen.

Meine Arbeit im Projekt hat nicht den Zweck Armut zu mindern und Ghana zu entwickeln. Es ist ein Mittel zum Zweck, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Das Projekt hat eine untergeordnete Bedeutung. Wie im letzten Blogartikel ausführlich erzählt, war es nicht meine Aufgabe als fremder Deutscher den GhanaerInnen zu erzählen, wie sie etwas zu tun haben.

Ich habe ein Jahr in dem Dorf Ajumako unter einfacherer Bedingungen als in Deutschland gelebt, musste oftmals auf Strom und fließendes Wasser verzichten. Doch die touristische Abenteuereigenschaft verliert das mit der Zeit, es wird zur Gewohnheit, wie so vieles, was am Anfang neu war. Ich bin in Ajumako angekommen, habe mich nicht mehr fremd gefühlt. In Gesprächen taucht man tiefer in die „Kultur“ ein, beginnt Neues zu lernen und Dinge nachzuvollziehen.

Geholfen hat mir dabei vor allem, meine Motivation und Offenheit sich auf etwas Neues einzulassen, und die Tatsache, dass ich auf dem Land und nicht in der Stadt wohne. So habe ich Einblicke erhalten, die vielen professionellen Entwicklungshelfern trotz jahrelanger Arbeit in Entwicklungsländern verwehrt bleiben.

Gegen Ende bin ich an meine psychische Belastungsgrenze gestoßen, weil ich mir die Frage gestellt habe: Wieso braucht man weltwärts-Freiwillige, um Missstände aufzuzeigen, die Entwicklungshelfer seit Jahrzehnten nicht in der Lage waren zu lösen? Ich habe mich ohnmächtig gefühlt, mich nicht in der Lage gesehen, daran etwas ändern zu können, und habe in diesem Prozess meine persönlichen Ziele des weltwärts-Jahres auf die oben genannten heruntergebrochen. Ich habe mich von meinem anfänglichen Weltverbesserungsdrang gelöst.

Es ist nicht zu leugnen, dass mich das Jahr sehr geprägt hat. Ich habe tatsächlich globale Zusammenhänge begriffen, die globale Welt mehr verstanden und dabei so viele Missstände gesehen, was mich für diese Themen weiter sensibilisiert hat. Am weltwärts-Programm würde ich folgendes ändern:

1. Trägerschaft sollte nicht das Entwicklungs-, sondern das Bildungsministerium übernehmen. Ich habe in dem Jahr nicht Ghana, sondern mich selbst entwickelt.
2. Es sollten keine Projektplätze in Großstädten, sondern nur auf dem Land vergeben werden. So ist man gezwungen, sich mit dem Leben im Land zu beschäftigen und kann sich nicht in Beachressorts, Clubs und Restaurants mit westlichem Standart flüchten.
3. Wenn niemand die Arbeit der Freiwilligen im Projekt kontrolliert und nicht fordert – wie vertraglich vereinbart – die gesammelten Erfahrungen in die deutsche Gesellschaft einfließen zu lassen, braucht man sich nicht wundern, wenn nichts dabei herumkommt.
4. Die Freiwilligenzahl muss drastisch durch härtere Auswahlseminare reduziert werden. Viele werden nie als Multiplikatoren dienen, weil sie sich noch nie ehrenamtlich engagiert haben und werden. Zukünftiges Engagement ist keine Selbstverständlichkeit.

Wie nachhaltig das weltwärts-Programm ist, kann man nach fünf Jahren noch nicht absehen. Auch ist völlig unklar, in welche Richtung sich die Absolventen orientieren. In dem Jahr habe ich das Rüstzeug erworben, um globale Defizite offen zu legen und zu helfen die Welt gerechter zu gestalten, aber auch Möglichkeiten gesehen, in der wirtschaftlichen Ausbeutung als Profiteur mitzumischen. Die Zukunft wird es zeigen.

Freitag, 15. Juli 2011

„Kennste den schon: Entwicklungshilfe hilft den Armen. Hahaha!“

Immanuel Kant pflegte zu sagen „Es gibt nichts innerhalb der Welt wie auch außerhalb derselben, was allein als politisch gut bezeichnet werden kann denn die Entwicklungshilfe“. Nach dieser Leitaussage wird seit dem Kalten Krieg die Entwicklungshilfe bewährt und stets erhöht. Doch Entwicklungshilfe ist nicht das reine Gute, oft genau das Gegenteil. Mit unkontrolliertem Geldfluss kann man keine Armut besiegen, sondern unterstützt die Machteliten und lässt die Entwicklungshilfeindustrie zu einem Selbstläufer werden, die ihr Ziel sich selbst abzuschaffen (Hilfe zur Selbsthilfe, keine Dauerhilfe) aufgegeben hat und aus sich selbst heraus existiert und expandiert.
„Geld war immer eher zu viel da“, sagt Rupert Neudeck (deutscher Journalist, Gründer der Cap Anamur). Die Entwicklungsgelder haben die Verantwortlichen nur noch träger gemacht und das Gefühl befördert, dass die Entwicklung eines Landes nur mit ausländischem Geld gemacht werde. Die Kräfte der Eigeninitiative und Selbsthilfe seien geradezu verdorrt unter unserem Ansturm, mit dem wir uns gar nicht genug tun können, um immer wieder alles so zu gestalten, wie wir es für richtig halten. Wir sollten auf die Meinungen junger Afrikaner hören und unseren Wahrheitsanspruch aufgeben. Wobei: Welche Rolle spielen schon die Meinungen von Afrikanern, wenn Weiße beschließen, ihnen zu „helfen“?
In den vergangen elf Monaten habe ich mir viele Gedanken über die Situation in Ghana in Verbindung mit Entwicklungshilfe gemacht. Ich habe teilweise verstanden, wie es läuft, was schlecht läuft und teils eigene Ideen entwickelt, wie man es besser machen könnte.
Die schnellste Verbindung zwischen der Hauptstadt Ghanas, Accra, und Duala in Kamerun (beides liegt in Westafrika) ist über Nairobi, die Hauptstadt Kenias (Ostafrika). Die Infrastruktur, wie ich sie in Ghana, Togo und Benin kennen gelernt habe, ist „verbesserungswürdig“. Die Hauptstraße zwischen Lomé und Accra, die Hauptstädte der Nachbarländer Togos und Ghanas, genauso wie die Straße zwischen Lomé und Cotonou in Benin, sind alles andere als gut. Wie kann man auf schlecht ausgebauten Straßen erfolgreich Handel treiben? Oder ist es nicht gewünscht, lässt es der fehlende Zusammenhalt afrikanischer Staaten nicht zu?
Ajumako, mein Heimatdorf, ist ständig Opfer von Stromausfällen, die oft über Stunden anhalten, ähnlich sieht es mit der Wasserversorgung aus. Unter den Stromausfällen leidet vor allem der ländliche Raum und ärmere Wohnviertel, die sich keinen Generator leisten können. Für die Machteliten ist es nicht notwendig, Maßnahmen gegen regelmäßige Stromausfälle zu ergreifen. Vermutlich bekommen sie davon kaum etwas mit.
Die Chancen auf Bildung, Gesundheit und Einkommen sind in Ghana durch eine (zumindest auf dem Papier) freien Grundbildung und der Einführung einer Gesundheitsversicherung verbessert worden, doch es darf nicht sein, dass in Großbritannien mehr ghanaische Ärzte arbeiten, als in Ghana selbst. Dieser BrainDrain (Abwanderung von ausgebildeten Arbeitskräften) ist ein Zeichen dafür, dass die Chancen in Ghana verbessert werden müssen, um Anreize zu schaffen, die jungen, ausgebildeten Köpfe im Land zu halten. Mit etwas mehr Pluralismus im öffentlichen Leben könnte man den ersten Schritt hin zu Mitbestimmung und Verbesserung machen.
Hauptgründe für die schlechte Entwicklung sind für mich vor allem Vetternwirtschaft, Korruption und die fehlende Eigendynamik. Es gibt afrikanische Staatschefs, die in einer Woche New York für sich und ihre Gefolgsleute das Jahresgehalt unserer Bundeskanzlerin (24.000 Euro im Monat) auf den Kopf hauen. Die ghanaische Regierung unterhält 75 Ministerien. An den zahlreichen Polizeisperren sehe ich fast jedes Mal, dass zwischen den Führerschein Geld gesteckt und vom Polizisten angenommen wird. Auf öffentlichen Ämtern muss man ohne Kontakte oder Gefälligkeiten Ewigkeiten warten oder wird gar nicht bedient. Und wenn andere Straßen, Schulen und Krankenhäuser bauen und Kinder impfen lassen múss es die Regierung nicht tun. Es ist einfacher, Entwicklungsgelder zu erhalten, Entwicklungshelfer arbeiten zu lassen, als selbst die Ärmel hoch zu krempeln. Es ist einfacher nach Geld zu fragen, als selbst welches zu verdienen.
Doch aufgepasst mit Kritik! In Ghana darf man nicht kritisieren, allerhöchstens durch die Blume erwähnen, dass es auf eine andere Weise vielleicht besser sei. Aber schon hier kann man mit Trotzigkeit und dem Abbruch aller Beziehungen rechnen. Da frag ich mich: Wie kann man ein Land verändern, wenn man verkehrte bestehende Strukturen nicht erwähnen und kritisieren darf?
Ghana wurde 1957 unabhängig. Die ehemalige Goldküste war schuldenfrei und verfügte über Auslandsguthaben. Das Bildungssystem galt als vorbildlich, das Land hatte eine gute erschlossene Infrastruktur, einen relativ unbestechlichen Staatsapparat sowie unabhängige Gerichte. 1957 hatte Ghana das gleiche Pro-Kopf-Einkommen wie Spanien. Das westafrikanische Land war der weltgrößte Kakaoproduzent, daneben wurden Gold und Tropenhölzer exportiert. An den Ressourcen hat sich nichts geändert. Dafür leben heute trotz der hohen Hilfszahlungen mehr als die Hälfte der GhanaerInnen in Armut. Die Verwaltung ist aufgebläht und die Infrastruktur ist mangels Wartung (wie oben schon erwähnt) heruntergekommen. Selbstherrliche Führer haben das Land systematisch heruntergewirtschaftet. Was in Jahrzehnten zerstört wurde, muss nun mühsam wieder aufgebaut werden.
An diesem Beispiel erkennt man, dass Kolonialismus als Ausrede nicht mehr herhalten kann. Die Zeit ist vorbei, die aktuelle Situation an der Vergangenheit rechtfertigen zu wollen. Was nun zählt ist der Blick nach vorne. Man muss anfangen die Dinge anzupacken.
Die Entwicklungshilfe darf nur Regierungen unterstützen, die eine gute Regierungsführung aufweisen. Schlechte Regierungsführung muss Folgen haben. Wir schießen Geld in gescheiterte Systeme und zeigen den Regierungen mit weiteren Hilfszahlungen, dass sie so weitermachen dürfen. Gelder verschwinden in den Taschen politischer Funktionsträger der Entwicklungsländer. Menschenrechtsverletzungen und Korruption müssen sanktioniert werden. Entwicklungshilfe muss an diese Bedingungen geknüpft und vor allem – wie bisher nicht getan – kontrolliert werden. Man muss den Erfolg überprüfen, auch den von Nicht-Regierungsorganisationen (NRO).
Entwicklungshilfe darf nicht weiter erhöht, sondern verringert werden. Die Geberländer dürfen nur so wenig Geld wie irgend möglich in die Entwicklungsländer fließen lassen. Oder direkt abschaffen. Damit trifft man nicht die arme Bevölkerung ins Mark, sondern die korrupten Machteliten. Und vor allem schafft man damit wieder Anreize für Eigenanstrengungen. Wenn die Machteliten selbst in die Verantwortung gerufen werden und diese nicht auf die Entwicklungshilfe abwälzen können.
Die Schlüsselrolle im Kampf gegen Armut müssen afrikanische Regierungen selbst übernehmen. Wenn der Westen diese Rolle weiterhin übernimmt, wird es niemals zu einem Gespräch auf Augenhöhe kommen. Was wir von unserer Seite tun können, ist es, auf die jungen Afrikaner zu hören. „Immer wieder finden sich Eskimos, die den Afrikanern sagen, was sie zu tun haben.“ Stanislaw Jerzy Lec.
Mo Ibrahim ist ein Sudanesischer Mobilfunkunternehmer. Nach seiner Erfahrung sei schlechte Regierungsführung ein großes Entwicklungshemmnis für den afrikanischen Kontinent. Er gründete eine Stiftung, die vorbildliche ehemalige Staatschefs in Afrika auszeichnet. Die Preisträger erhalten in den ersten 10 Jahren 5 Millionen US-Dollar und dann lebenslänglich jährlich 200.000 US-Dollar. Das viele Geld soll einen Anreiz schaffen, dass die politische Elite sich verfassungsgemäß von der Macht verabschiedet. 2009 hat die Jury niemanden gefunden, der das Preisgeld verdient hätte. Mo Ibrahims Zitat lautet: „The only thing that matters is governance, governance, governance.“

Wenn man sich mit dem Thema der Entwicklung und der Entwicklungshilfe beschäftigt und vor Ort sieht, wie es abläuft, ist es nicht einfach Antworten auf komplexe Probleme zu finden. Es verwundert mich, dass sich die Regierungen (auch die von Deutschland) an Schreibtischen und Konferenzen in der UN und der EU bereiterklärt haben, 0,7 % des Bruttoinlandsproduktes bis 2015 an Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Dies bedeutet eine weitere Erhöhung des Geldflusses. Schade, dass nur aus der Distanz die Antworten so einfach erscheinen. Vor Ort sehe ich, dass man mit der Erhöhung des Mittelflusses nach Afrika Armut nicht beseitigen kann. Das Geld findet stets durch Umwege in Geldbeutel, wofür es nicht gedacht ist. Hauptziel der Entwicklungshilfe darf nicht länger die Erhöhung der Gelder sein, welche die Kräfte der Eigeninitiative zum erliegen bringt. Entwicklung – daran habe ich keinen Zweifel – verläuft ausschließlich über die tatkräftige und überzeigende Partizipation eines jeden Einzelnen.

So wie es im Moment läuft, kann ich mit keinem guten Gewissen an irgendeine Hilfsorganisation spenden. Wohin die Gelder in der NRO fließen, mit der ich hier in Ghana etwas zu tun habe, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass kurz bevor Repräsentanten von USAID oder aus Frankreich kommen, um einen Blick auf die Investitionen zu werfen, immer alles glänzt und kurzfristig funktioniert. Wenig später ist das Bild ein anderes.
„Ein Riesenapparat lebt sehr gut von der ´Verantwortung für Afrika´. Etwas anderes als von unserer Mildtätigkeit abhängigen Bettelkontinent können wir uns gar nicht mehr vorstellen. Dafür sorgen auch die Pressemittelungen von Institutionen, die von der Entwicklungshilfe leben“ (Volker Seitz, ehemaliger dt. Botschafter und Autor von "Afrika wird armregiert"). Katastrophen – besonders vor Weihnachten – werden bewusst vermarktet. Es sind Milliarden in die Aufklärung von AIDS geflossen, zahlreiche NROs sind wie Pilze aus dem Boden geschossen, um sich an dem Topf zu bereichern. Bei der Sexualaufklärung an unserer Schule hat die NRO Hope For Future Generations (durch westliche Gelder finanziert) den SchülerInnen beigebracht, dass Sex in jungem Alter gesundheitschädlich sei. Über Verhütungsmittel wurde nicht gesprochen. Viele der Menschen in Ghana wissen nicht, was ein Kondom ist, geschweige denn, wie man es benutzt. Wo sind die Milliarden von investierten Euros gelandet?
Und unterernährte Kinder, wie auf den mitleiderregenden Plakaten, habe ich in Ghana noch keine gesehen. Solange es keine Effizienzkontrolle bei der Entwicklungshilfe und bei NROs gibt, werde ich keinen Cent nach Afrika spenden. Ich kann es nur jedem empfehlen, seine/ihre Spendenbereitschaft für Afrika einzustellen. Es gibt in Deutschland auch genügend Institutionen, die auf Spenden angewiesen sind.